Bewusst atmen
© Bernd Helge Fritsch
Bewusst atmen, das Tor zum Licht
Das Yoga-Sutra des Patanjali
Schon Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung haben im alt-indischen Kulturkreis spirituelle
Lehrer ihren Schülern spezielle Atemübungen (Sanskrit Pranayama) zur Förderung von
Achtsamkeit und meditativer Versenkung empfohlen. Der indische Gelehrte Patanjali
wird als „Vater des Yoga“ bezeichnet, weil er als Autor des klassischen Yoga-Leitfadens,
genannt „Yoga-Sutra“, gilt. Über die Person des Patanjali ist wenig bekannt. Seine
Lebenszeit wird zwischen dem 2. Jahrh. v. Chr. und dem 4. Jahrh. n. Chr. vermutet.
Ziel des Yoga (Sanskrit: yoga - "Vereinigung“, „Verbindung"), dieser rund 5000 Jahre
alten indischen Philosophie, ist die Befreiung des Menschen von allen mentalen Abhängigkeiten
und Verirrungen, sowie seine Wiedervereinigung mit dem göttlich-allumfassenden Sein.
Yoga wird von Patanjali als achtgliedriger Entwicklungs-Weg dargestellt. Pranayama
(Atemkontrolle) spielt dabei, neben Körper-Übungen (Asanas), Konzentration und Meditation,
eine wesentliche Rolle.
Das Wort Pranayama setzt sich zusammen aus den Sanskrit-Begriffen „Prana“ (Lebensenergie
oder Atem) und „Ayama“ (Kontrolle, Erweiterung). Patanjali geht davon aus, dass wir
durch fortdauernde Atembeobachtung und spezielle Atemtechniken in Verbindung mit
den anderen, von ihm empfohlenen Übungen, unser Denken und Fühlen entscheidend beeinflussen
und damit unser Bewusstsein zu höchsten Stufen erweitern können.
Anapanasati Sutra
Vermutlich schon vor Patanjali hat Siddhartha Gautama Buddha (563 – 483 v. Chr.),
der ebenfalls dem indischen Kulturkreis zugehörig war, auf die besondere Wirksamkeit
des Bewusst-Atmen hingewiesen. Zu seinen bedeutendsten Lehrreden zählt das „Sutra
des bewussten Atems“ (Anapanasati Sutra). Zur Geschichte dieses Sutra wird uns überliefert,
dass Buddha zu „jener Zeit“ im Ort Savatthi (Hauptstadt des indischen Königreiches
Kosala) in einem großen Park weilte. Hunderte Bhikkhus (Schüler) hatten sich eingefunden
um den Worten des Erleuchteten zu lauschen. Zu ihnen sprach er:
„Bhikkhus, die Methode den Atem vollkommen
bewusst wahrzunehmen wird,
wenn sie beständig entfaltet und geübt wird,
reiche Früchte tragen und großen Nutzen bringen…“
Buddha erläutert sodann wie Atem-Achtsamkeit entwickelt und fortlaufend geübt werden
kann, sodass diese Übung „großen Nutzen bringt“. Er gibt dazu seinen Schülern insgesamt
16 Anweisungen worauf sie beim Ein- und Ausatmen besonders achten sollen.
Die wesentlichen will ich hier kurz zusammenfassen:
- Achte beim Ein- und Ausatmen darauf, ob du tief oder flach atmest
- Nimm beim Atmen deinen gesamten Körper bewusst wahr und lass ihn ruhig und friedvoll
werden
- Beobachte beim Atmen auftauchende Gedanken und lasse sie ruhig und friedvoll werden
- Empfinde beim Atmen ein Gefühl der Freude und des Glücks
- Mache dir beim Atmen die Vergänglichkeit aller Phänomene bewusst
- Lass los beim Atmen von allen Sorgen, Wünschen und Begierden
- Befreie dich schließlich von allen Gedanken
Wenn du dich näher mit dem Anapanasati Sutra auseinandersetzen willst, empfehle ich
dir das Buch „Das Wunder des bewussten Atems“ des buddhistischen Lehrers Thich Nhat
Hanh.
Auswirkungen des bewussten Atmens
Bewusstes Atmen begleitet mich seit vielen Jahrzehnten auf meinem spirituellen Weg.
Ich verwende dabei keinerlei Atem-Technik oder besondere Übungen. Ich halte sogar
solche Methoden, wie zum Beispiel in einem bestimmten Takt aus- oder ein-zu atmen
und den Atem anhalten, von denen ich einige praktiziert habe, für psychisch und gesundheitlich
bedenklich. Der Mensch sollte nicht mutwillig in die Weisheit und Vollkommenheit
des natürlichen Atemvorgangs eingreifen. Auch stärkt jedes derartige Wollen und Suchen
unser Ego.
Einfach nur den Geist (die Gedanken) auf den Atem zu lenken bewirkt bereits eine
wohltuende und heilsame Entspannung. Automatisch ist damit ein Loslassen von unnötig
kreisenden Gedanken, Sorgen und Problemen verbunden. Beobachte ich meine Gedanken,
so kehre ich ein in die zeitlose Gegenwärtigkeit. Sofort fühle ich mich eins mit
dem allumfassenden Sein.
Den Atem zu beobachten erleichtert uns das Meditieren. Denn mit dieser Achtsamkeit
stoppen wir unser rastloses Denken. Bedenke dabei, dass im Grunde Meditation nur
das Verwirklichen von „Nicht-Denken“, dass Meditation einfach nur „glückselig im
Sein zu verweilen“ bedeutet.
Negative, irreführende Denkgewohnheiten, die zum Teil schon in unseren Genen veranlagt
sind oder uns von Kindheit an anerzogen wurden, werden sich durch ihre Beobachtung,
in Verbindung mit bewusstem Atmen, auflösen. Nichts Neues wird dabei gewonnen, denn
unser wahres Wesen besteht – wie schon vor Jahrtausenden die indischen Meister erkannt
haben – aus „Sein, Bewusstsein und Glückseligkeit“ (Sat, Chit und Ananda). Durch
bewusstes Atmen beseitigen wir nur hinderliche Denk- und Verhaltensmuster.
Unser Atemvorgang ist eng mit unserer Psyche, mit unserem Gefühls-Leben und auch
mit unseren Körperfunktionen verbunden. So führen beispielsweise Stress und Angst
zu einer flacheren und schnelleren Atmung. Panik oder Erschrecken können plötzliches
Luftanhalten oder auch Hyperventilieren verursachen. Umgekehrt löst Achtsamkeit auf
den Atem Anspannung, Stress und sonstige negative und ängstliche Gefühle auf.
Einige gesundheitliche Auswirkungen der Atembeobachtung:
Sie
- fördert unser Körper-Gefühl
- lässt unser Herz harmonischer schlagen
- stärkt die Lungenfunkton und damit die Sauerstoff-Versorgung der Körperzellen
- verbessert unsere Gehirnfunktionen
- verbessert die Intuition – was wir tun und lassen sollen
- beruhigt und stärkt das Nervensystem
- fördert die Verdauung
- unterstützt unseren Hormonhaushalt und führt damit zu vermehrter Ausschüttung von
Endorphinen
Unser Atem ein Symbol göttlichen Wirkens
In der Luft, die wir ein- und ausatmen, manifestiert sich das „Eine“, das „Göttliche“
im Vergleich zu sonstigen materiellen Erscheinungen in feinster und direkter Weise.
Deshalb gilt in vielen Religionen der Atem als ein Symbol der Wirkkraft Gottes.
In diesem Sinne schildert die Schöpfungsgeschichte des Alten Testamentes (1 Mose
2:7) wie Gott dem ersten Menschen mit seinem eigenen Atem Leben einhaucht:
„Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß,
und er blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase.
Und also ward der Mensch eine lebendige Seele.“
Je öfter wir daher bewusst atmen, desto tiefergehend wird unser göttliches, glückseliges
„Sein“ von uns verwirklicht. Entscheidet ist dabei unsere konsequente, fortlaufende
Achtsamkeit.
Wir benötigen dazu keinen besonderen Zeit-Aufwand, denn die bewusste Atmung können
wir jederzeit, auch während vieler unserer täglichen Erledigungen, praktizieren.
Wenn Denken im Verlauf unseres Tages erforderlich ist, so kehren wir danach, ehest
möglich wieder zur Atembeobachtung zurück. Bald wird sich herausstellen, dass durch
regelmäßiges Nicht-Denken, unser notwendiges Denken viel effizienter wird. Auch werden
wir unsere Aufgaben wesentlich leichter, freudiger und effizienter erfüllen. Und
so wird uns Achtsamkeit auf den Atem, wie Buddha sagt, wunderbar schöne Früchte bringen.
Viel Freude dabei wünscht dir
mit herzlichem Gruß
Bernd
P.S.: Würde mich sehr über eine Rückmeldung von dir zu diesem Thema freuen!